Die Situation von Kindern und Jugendlichen, die als Flüchtlinge auf der Insel leben, haben uns Vertreter des UNHCR und Kinderschutzorganisationen am Runden Tisch „unbegleitete Minderjährige (UMA)“ geschildert.
Die Zahlen sind erschreckend: Über 4000 Kinder und Jugendliche müssen in Moria leben. Darunter über 450 unbegleitet, d.h. ohne Begleitung der Eltern oder eines Elternteils oder eines für sie oder ihn verantwortlichen Erwachsenen. Sie sind in vielen Fällen im wilden Teil des Camps alleine unterwegs und erhalten weder Schutz noch Unterstützung von den dortigen Verantwortlichen. Selbst im „geschützten Bereich“ kann jeder ein- und ausgehen, die Kinder und Jugendlichen sind nachts alleine dort, Drogen, Sex gegen Geld und Gewalt sind hier für sie Alltag. Die Gefahr Opfer von sexueller Gewalt zu werden ist groß. Riskant ist bereits ein nächtlicher Toilettenbesuch aus dem Zelt durch den Olivenhain.
Griechenland hat 2019 die UN-Kinderrechtskonvention vorbehaltlos ratifiziert. Doch den Kindern und Jugendlichen werden grundlegende in der Konvention verankerte Rechte wie Unterkunft, medizinische Versorgung, gesunder Ernährung, Hygiene, Bildung, Beschäftigung und Sicherheit verwehrt.
So kann kein Kinderschutz in Europa aussehen.
Es gibt wohl von anderen Lagern aus Griechenland bereits Klagen auf Basis der UN Kinderrechtskonvention.
Das UNHCR begrüßt die europäischen Aufnahmeprogramme sehr, kritisiert aber, unterstützt von den NGOs in diesem Bereich, dass gerade Deutschland seine Aufnahmeregeln immer wieder ändert und damit keine Verlässlichkeit besteht. Die Verteilung von Minderjährigen ist an hohe Auflagen gebunden. Es müssen Interviews durchgeführt werden, die Vormundschaft geklärt und familiäre Beziehungen in anderen europäischen Ländern ausgeschlossen sein. Aus Sicht der Expert*innen ist es inakzeptabel, ist dass sich Aufnahmeländer besonders junge Kinder wünschen, ein bestimmtes Geschlecht oder eine Nationalität bevorzugen. Kinder sind Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres und unabhängig davon , ob sie Mädchen oder Junge sind. Bei den letzten zwei Verteilungsverfahren (Luxemburg mit 12 und Deutschland mit 47 Kindern) wurden 540 Interviews geführt, die meisten der befragten Kinder warten noch immer auf eine Aufnahme.
Am Runden Tisch Gesundheit „Ärzte ohne Grenzen“ und weiteren Organisationen wurde sehr deutlich, dass das staatliche medizinische Systeme völlig überlastet ist. Nicht nur Themen, wie Frauengesundheit, Zahnmedizin oder psychiatrische Hilfen kommen viel zu kurz, auch die hausärztliche Versorgung ist katastrophal. Im Camp arbeiten von staatlicher Seite 3 Ärzte, 9 Krankenschwestern und einige Mitarbeiter*innen des psychologischen Dienstes. Ohne die NGOs gäbe es keine Notaufnahmen, keinen Kinderarzt, keine Medikamente, keine Covid-19-Station und auch keine Angebote zu Verhütung und Prävention.
Umso schwerer ist nachzuvollziehen, dass die NGOs keine Unterstützung erfahren und sich regelmäßig gegen Auflagen oder Bußgelder wehren müssen. Aktuell musste „Ärzte ohne Grenzen“ seine Covid-19-Station abreißen und 35.000 € Strafe bezahlen, trotz Absprachen mit der lokalen Politik, weil es keine Baugenehmigung gab. Griechenland hat eine mobile Krankenstation von der niederländischen Regierung geschenkt bekommen, welche jetzt als Covid-Klinik dienen soll. Es fehlt aber das Personal. „Ärzte ohne Grenzen“ wird am Ende Verantwortung für die Menschen im Camp übernehmen und versuchen ausreichend Personal zu finden. Die Verärgerung über derartige Aktionen war hier tagelang Gesprächsthema.
Das UNHCR beschreibt seine Aufgabe in der Koordinierung der Leistungen, der Unterstützung des griechischen Staates und der Organisation der notwendigen Hilfen auf der Insel Lesbos. Wenn man genau hinhört, zeigt sich die Unzufriedenheit mit der Situation vor Ort. Kritisiert wird, dass Menschen ohne Schutz und sanitäre Ausstattung bei unwürdigen hygienischen Bedingungen in Zelten, selbst gebauten Unterkünften oder Containern leben müssen. Ebenso wenig ist es hinnehmbar, dass nur wenige Kinder und Jugendliche Bildung erfahren und nur wenige Wohnungen für besonders Schutzbedürftige vorhanden sind. Gefragt nach ihren Wünschen, sind es die schnelle Versorgung vulnerabler Gruppen an sicheren Orten, die Verbesserung der Bedingungen im Camp und verbindliche Abkommen zur europäischen Verteilung der geflüchteten Menschen, statt finanzielle Unterstützung.
Zwischendurch im Cafe setzt sich der griechische Bauingenieurs S., der in Deutschland studiert hat, sein Leben auf Lesbos verbringt und sich nun als Rentner bei Nea Dimokratia politisch engagiert, neben uns. Er prangert die schlechte Versorgung der Flüchtlinge an, sieht die Probleme bei der griechischen Regierung und bei der Verwaltung vor Ort. Es sei viel Geld für die Flüchtlinge nicht da angekommen, wo es benötigt wurde. Die Bedingungen in denen die Flüchtlinge vor Ort leben seien unwürdig und es sei viel zu viel Zeit vergangen, in der nichts für die Verbesserung getan wurde. Auch dies ist eine Sicht auf die Dinge.