Mein Redebeitrag zum Bericht der Staatsregierung zur Corona-Pandemie
22. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 03.02.2021, TOP 1
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Klimakrise, Bankenkrise, weltweite humanitäre Katastrophen, Corona-Krise. Unsere Gesellschaft ist krisenmüde. Uns allen dürstet es nach schnellen Lösungen, die unsere momentane Lage wieder verbessern und zu unserem normalen Leben zurückführen.
Aber es wird bei SARS-CoV-2 kein schnelles Ende geben. Dazu ist die pandemische Verbreitung zu groß. Derzeit geht man davon aus, dass das Virus endemisch, also hier heimisch, wird. Wenn wir das Virus nicht ausrotten können, so können wir nur lernen, es zu kontrollieren.
Doch wie kommen wir nun an den Punkt, wo wir das Virus kontrollieren können?
Es ist immer noch dieselbe Antwort: Wir müssen Ansteckungen vermeiden. Das Tragen von Masken kann hierzu einen großen Beitrag leisten. Wir müssen aktuell und wahrscheinlich auch in naher Zukunft noch unsere Kontakte so gering wie möglich halten. Und wir müssen das Impfen so ins Laufen bringen, dass jeder, der bereit ist, sich impfen zu lassen, dies auch zeitnah tun kann.
Am allerwichtigsten jedoch ist es, dass die Impfbereitschaft in der Bevölkerung hoch ist. Für mich ist hierbei entscheidend, dass wir die Bevölkerung durch bessere Information erreichen. Das, was wir bis jetzt tun, ist nicht falsch, aber es kommt bei den Menschen noch nicht so an, dass wir sicher sein können, eine ausreichende Immunisierung zu erreichen. Die Mitglieder der Staatsregierung können dabei auch nicht die Einzigen sein, die kommunizieren.
Es braucht dazu eine gesellschaftliche Breite.
Ich stelle die These in den Raum, dass die Impfablehnung gerade dazu genutzt wird, um Kritik am Handeln „derer da oben“ abzubilden. Impfen kategorisch abzulehnen, entgegen wissenschaftlicher Fakten, wird gerade Teil einer gefährlichen Form der Staatskritik. Das muss auf einen anderen Weg gebracht werden. Wir können das so nicht akzeptieren.
Wir sollten daher über gebündelte Kommunikationskanäle, die auch Anzeigen in Printmedien, Amtsblättern und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nutzen, weiter versuchen, alle Menschen im Freistaat zu erreichen. Da wir nicht ausschließen können – oder besser gesagt, davon ausgehen müssen –, dass wir noch lange über Maßnahmen zu Covid-19 informieren werden, ist für mich ein Update über Großplakate an Bundesstraßen deutlich sinnvoller, als die Informationsvermittlung irgendwelchen Telegramgruppen zu überlassen.
Eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle des Infektionsgeschehens und der weiteren Reduktion von Infektionen spielen die Gesundheitsämter. Ich werde nicht müde, nachfolgenden Punkt zu erwähnen: Wenn diese Systeme vor Ort nicht wie ein geschmiertes Uhrwerk laufen, können wir hier im Landtag beschließen, was wir wollen. Funktionieren muss der öffentliche Gesundheitsdienst dort, wo die Menschen Leben – in Breitenbrunn, Meißen und Delitzsch. Und auch dort muss die Kontaktnachverfolgung schnell und die Begleitung von Quarantänen reibungslos verlaufen.
Damit dies jetzt gelingen kann, müssen die Gesundheitsämter auf eine abgestimmte Teststrategie für alle Lebensbereiche des Freistaates Sachsen zurückgreifen können. Zu dieser Teststrategie gehören auch Schnell- und Selbsttests, für deren schnelle Zulassung sich der Freistaat Sachsen auf Bundesebene weiter einsetzen sollte. Wir haben in der Welt einen hervorragenden Ruf als Wissensstandort und sollten auf das, was erforscht und serienreif ist, nicht lange warten, sondern es beherzt in den Alltag integrieren.
Dabei ist es ebenso notwendig, die Weiterentwicklung der Corona-Warn-App und die Optimierung der Software der sächsischen Gesundheitsämter voran zu bringen, um datenbasiert und schnell zu wissen, wo neue Infektionsherde entstehen.
Über die Kontrolle des Virus hinaus braucht es eine langfristige Strategie. Diese muss alle gesellschaftlichen Bereiche in den Blick nehmen. Wir müssen verschiedene Szenarien durchdenken und bewerten. Dabei geht es um weit mehr als die Debatten der letzten Monate. Es braucht jetzt einen Perspektivplan, ein abgestuftes, klares und transparent kommuniziertes Konzept. In der Hochinzidenzphase seit November lautete die Frage eher allgemein: Lassen wir etwas zu oder machen wir es wieder auf? Den Blick nach vorn gerichtet müssen wir mit einem Perspektivplan für Sachsen die Antwort geben: Ab welcher Inzidenz dürfen welche Bereiche schrittweise wieder öffnen?
Erlauben sie mir an dieser Stelle meine Verwunderung zum Ausdruck zu bringen, wenn ich die Fragmente von solch einem Konzept am Abend vor dem Plenum meiner Regionalzeitung entnehme. Das ist weder geschickt noch abgestimmt und auch nicht gut durchdacht.
Es ist ein wichtiges Ziel, Probleme und sachsenspezifische Fragestellungen zu identifizieren und zu prüfen. Wir BÜNDNISGRÜNE plädieren daher für die Einrichtung eines Planungsstabs Pandemie. Diesem sollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Ressorts der Staatsregierung angehören und durch Praktikerinnen und Praktiker der kommunalen Ebene ergänzt werden. Bürgernähe und die permanente Reflexion, ob die Maßnahmen kausal und verständlich sind, sind für uns die Voraussetzung, um die Pandemie gemeinsam zu meistern.
Die mittelfristige Diskussion muss sich an einem bundesweit abgestimmten Perspektivplan orientieren und sich am Infektionsgeschehen ausrichten. Dabei müssen alle Lebensbereiche in den Blick genommen werden, auch die außerhalb von Kita, Schule und Wirtschaft. Wenn die Krise uns eines lehrt, dann, dass wir Menschen mehr sind als die Rollen, die wir von 8 bis 17 Uhr in unseren Jobs ausfüllen. Kunst, Kultur, Bolzplatz, Ferienlager und Kneipe sind eben keine „nice to haves“, sondern eher ein „must have“ unseres Lebens.
Zu einem abgestimmten Perspektivplan – und dieser Teil der Wahrheit gehört auch dazu – braucht es eine vorausschauend geplante Hotspotstrategie. Man wagt es kaum zu formulieren, weil es keiner mehr hören kann, aber essenziell für die Pandemiebewältigung im Freistaat in den kommenden Wochen ist die Beobachtung und Eindämmung der Verbreitung von Virus-Mutationen. Um die Ausbreitung von Corona-Varianten in Sachsen besser überwachen und zügig zielgerichtet reagieren zu können, braucht es eine aussagekräftige Datenlage und valide Aussagen zur Verbreitung von bereits bekannten und weiteren, womöglich neuen Corona-Virus-Mutationen. Dafür müssen wir im Freistaat Sachsen die Sequenzierungen auf einem hohen Niveau halten.
Eines ist mir wichtig zu betonen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. Bei all den zu treffenden Maßnahmen und Plänen muss es eine enge Rückkopplung des Parlaments, aus unserer Sicht über ein Parlamentsbeteiligungsgesetz, geben.
Politische Entscheidungen werden nachhaltiger, wenn sie auf fundierte Daten und eine breite Expertise zurückgreifen können.
Lassen sie mich als Gesundheits- und Sozialpolitikerin noch einen Blick auf die soziale Infrastruktur werfen. Wir alle wissen, welche mentalen Herausforderungen Krisen bedeuten. In der pandemischen Situation und auch danach ist mit einer Zunahme an Konflikten, neuen und sich verschlechternden psychischen Erkrankungen, Gewalt und verschiedenen Lebensproblemen zu rechnen. Wir müssen deshalb sicherstellen, dass alle Betroffenen einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin findet, die sich seiner Situation annimmt. Dafür braucht es eine reale Erreichbarkeit von Beratungseinrichtungen aller Couleur. Wir müssen sicherstellen, dass in Notfall-Situationen auch Eins-zu-eins-Kontakte möglich sind.
In Absprache mit den Kommunen müssen die Angebote dem Bedarf folgen und gegebenenfalls auch ausgeweitet werden. In der Stadt Zwickau ist vorübergehende eine dritte Wohnung des Frauenschutzhauses eröffnet worden, weil die Unterbringung nicht mehr in den bestehenden Strukturen möglich war. Ich war vor zwei Wochen vor Ort und konnte sehr erleichterte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleben, weil sie jetzt wieder die Möglichkeit haben, auch und gerade in Krisenzeiten Schutz zu gewähren.
Ein wichtiges Ziel unserer BÜNDNISGRÜNEN Politik ist es, dass die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Klinken sowie ambulanten und stationären Pflegediensten trotz der Pandemie Arbeitsbedingungen vorfinden, die sie nicht krankmachen. Viele sind nach Monaten der Ausnahmesituation an den Grenzen ihrer Kräfte angelangt. Um negative Gesundheitsfolgen und eine Abkehr vom Beruf zu verhindern, sehen wir es als enorm wichtig an, dass Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegewesen nachhaltig unterstützt werden. Zentral ist hierfür, die Zahl der schwer Covid-19-Erkrankten in Kliniken und Pflegeheimen so schnell wie möglich zu senken. Auch Unterstützungs- und Beratungsangebote für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheit- und Pflegeberufe, um das Erlebte zu verarbeiten, gehören dazu.
In der Gesundheitswirtschaft oder Pflege tätig zu sein, ist das Eine. Über Monate hinweg Menschen beim Sterben zu begleiten und/oder den fehlenden Kontakt zu Angehörigen zu kompensieren, etwas ganz Anderes. Die ersten Untersuchungen der Krankenkassen zeigen massive Überforderungen bei den Mitarbeitenden, denen wir uns durch eine Entlastung der Systeme stellen müssen.
Um aus der Corona-Pandemie zu lernen, sollten wir uns als Bürgerinnen und Bürger sowie Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger einer kritischen Reflexion unterziehen und uns fragen: Was haben wir gut gemacht und was auch nicht?
In der Pädagogik spricht man von Resilienz, wenn trotz schwieriger Bedingungen die Entwicklung von Kindern einen guten Weg nimmt. Wir müssen analysieren, wo diese Resilienz da ist und wo wir sie noch entwickeln müssen. Eine Lernaufgabe zeichnet sich deutlich ab, die Kommunikation was die Staatsregierung plant, sollte erst intern eine Abstimmung erfahren und dann ins Schaufenster gestellt werden.
Ich beende meine Rede nicht ohne Wunsch. Ich würde mich freuen, wenn viele Abgeordnete aus unserer Runde, sobald es möglich ist, ihr Impfzentrum vor Ort nutzen und somit einen wichtigen persönlichen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie leisten.
Vielen Dank!