Das Erarbeiten von Teststrategien wird durch eine enorm hohe Anzahl von Variablen bestimmt, die sich aktuell größtenteils täglich ändern. Vor diesem Hintergrund kann im aktuellen Kontext keine Teststrategie als abgeschlossen betrachtet werden. Vielmehr ist es so, dass jede Teststrategie nach kontinuierlicher Weiterentwicklung verlangt. Zu den Faktoren, die Teststrategien beeinflussen, gehören u.a.:
1. Die aktuelle Verbreitung in der Bevölkerung
Die Interpretation und Sinnhaftigkeit von Testergebnissen sind sehr stark davon abhängig, wie hoch die allgemeine Infektionsaktivität in der Bevölkerung ist. In einem Hotspot geht es vor allem darum, möglichst schnell alle potentiell ansteckenden Personen zu identifizieren. Deswegen ist dort die Schnelligkeit der Testung wichtiger als ihr 100%-ige Genauigkeit. Wiederum ist es in einer Phase mit sehr niedrigen Infektionszahlen wichtig, dass eine Vielzahl von Schnelltests durchgeführt werden. Dabei werden die positiven Ergebnisse mit weiteren PCR-Testungen auf ihre Richtigkeit kontrolliert. Da die Inzidenzahlen sehr dynamisch sind, ist allein vor diesem Hintergrund auch die Notwendigkeit einer dynamischen Anpassung von Test-Strategien notwendig.
2. Die Genauigkeit und die Kosten von Schnelltests
Es ist sehr wahrscheinlich, dass im Laufe der Zeit Schnelltests mit zunehmender diagnostischer Genauigkeit und zu einem geringeren Preis verfügbar sind. Insbesondere die Rate an falsch-positiven Ergebnissen und falsch-negativen Ergebnissen für jeden Schnelltest muss vor diesem Hintergrund sehr genau immer wieder evaluiert werden.
3. PCR-Testkapazitäten
Solang für die Bestätigung positiver Schnelltests eine Kontrolle per PCR notwendig ist, muss immer im Auge behalten werden, dass die Kapazität von PCR-Tests angesichts beschränkter Reagenzien etc. nicht überstrapaziert wird. Dies gilt insbesondere für sehr große Screening-Testungen von z.B. Schüler:innen.
4. Risikoverhalten der Bevölkerung berücksichtigen
Aktuell sind die Daten bezüglich der Auswirkungen von Schnelltests auf das anschließende Risikoverhalten einer einzelnen Person unzureichend. Entsprechende Studien werden jedoch aktuell durchgeführt. Wenn die Ergebnisse u.a. zeigen, dass negative Schnelltests trotz eingeschränkter Aussagekraft bei relevanten Teilen der Bevölkerung zu einem Aufgeben aller Covid-Schutzmaßnahmen führen, muss auch diese Erkenntnis in einem Testkonzept berücksichtigt werden.
Gleiches gilt für die Akzeptanz von Testungen. Gerade Rachenabstriche werden als unangenehm empfunden, vor allem dann, wenn sie mit Schmerzen verbunden sind. Wird nun diese Art der Probeentnahme häufiger angewendet, so kann dies wiederum zu einer Verschlechterung der Akzeptanz der Testungen führen.
Begründung für die Notwendigkeit eines bevölkerungsbasierten, statt individuellen Testkonzepts
1. Unterschiedliche Anlässe von Testungen
Wir können das Testen einer Patientin bzw. eines Patienten mit Symptomen einer Covid-Infektion und das Testen zur allgemeinen Vermeidung der Infektionsausbreitung nicht miteinander vergleichen – hier handelt es sich um zwei komplett unterschiedliche Dinge. Deswegen brauchen wir neben der etablierten Testung für Menschen mit symptomatischer Covid-Erkrankung als individuellem Gesundheitsschutz auch ein konkretes Konzept für Testungen zum Schutz der Öffentlichen Gesundheit. Man kann die unterschiedlichen Testungen bspw. in „Test zum Schutz“ und in „Tests zur Anwendung von Öffnungsstrategien“ gruppieren. Dies wird aktuell bereits exemplarisch in einem Pilotprojekt in Liverpool durchgeführt (Liverpool Covid-SMART Pilot Evaluation).
2. Aussagefähigkeit von Schnelltests
Wir wissen, dass Antigentests, im Gegensatz zu PCR-Tests, bei beginnenden und abklingenden Infektionen ungenauere Ergebnisse liefern. Beide Testarten können aber gleich gut Menschen identifizieren, die lebende Viruspartikel im Rachen besitzen – und damit ansteckend sind. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht ihrer Schnelligkeit sind Schnelltests besser für eine schnelle Beurteilung der Infektiosität eines Menschen geeignet. Damit sind sie sehr gut zur Ermöglichung von Aktivitäten wie Clubbesuch etc. geeignet.
Hier noch ein passender BEITRAG des Science Magazine.
3. Repräsentative Inzidenz-Erhebung
Mit einer besseren Teststrategie muss auch die Datenqualität der Inzidenzwerte verbessert werden. Da abhängig von der Höhe des Inzidenzwertes verschiedenste Bereiche des öffentlichen Lebens geöffnet oder geschlossen werden, müssen die Inzidenzwerte mit einer deutlich besseren Methodik erhoben werden. Es ist viel sinnvoller, die Inzidenzwerte in unabhängigen und repräsentativen Testungen zu ermitteln. Damit wird die reale Infektionsdynamik besser erfasst. Aktuell unterliegen die Ermittlung der Inzidenzwerte vielen Störfaktoren (Feiertags-Testlücken, geschlossene Corona-Ambulanzen) und liefert damit ein verzerrtes Ergebnis. Eine Änderung der Methodik bietet auch die Chance, die Ausrichtung von Maßnahmen an Inzidenzen besser legitimieren zu können.
Repräsentative Erhebung der aktuellen Infektionslast in der Bevölkerung können perspektivisch ggf. auch durch Abwasser-Monitoring erreicht werden.
4. Digitalisierung des öffentlichen Gesundheitsdienstes
Bei aller Testung ist es jedoch wichtig, dass die öffentlichen Gesundheitsdienste mit eingebunden werden. Dafür braucht es vor allem ein verlässliches Datensystem. Ziel muss es sein, ein schnelles, einfaches und rechtssicheres System zu schaffen, das zwischen Testzentrum, Gesundheitsamt und Abrechnungspartnern Daten automatisch übermittelt. Hierzu hat sich die vogtländische Firma Simba n3 auf den Weg gemacht und ein Schnelltesttool entwickelt, welches seit 1. Februar 2021 in Testzentren des Vogtlandkreises eingesetzt wird.
5. Tests müssen bezahlbar sein
Die Akzeptanz der Test kann in der Bevölkerung erhöht werden, wenn die Kosten des Tests für den Einzelnen günstig sind und schmerzfreiere Alternativen zum Rachenabstrich angewendet werden. Testungen sollten auch durch vordere Nasenabstriche und Mundrachensekret ermöglicht werden.
6. Materialeinsatz geringhalten
Gerade in Zeiten von niedrigen Inzidenzen ist die Anwendung von gepoolten Tests sinnvoll. Bei Pool-Testungen werden Abstriche von mehreren Testpersonen in Gruppen zusammengefasst und analysiert. Dies kann beispielsweise bei Schulklassen angewandt werden. So werden statt fünf einzelnen Proben eine Sammelprobe gemacht. Fällt der Gruppentest negativ aus, spart man sich den Material- und Zeitaufwand für die Einzeltests. Ist er positiv, führt man zusätzliche Tests mit den zurückbehaltenen Proben durch.
7. Keine Testung von Geimpften
Angesichts der in Kürze zu erwartenden Daten zum Übertragungsrisiko durch bereits geimpfte Personen, kann man ggf. perspektivisch diese Personen von den Testungen ausnehmen, um nicht zuletzt Materialkosten einzusparen.
8. Barrierearme Testungen
Wenn Menschen Covid-typischen Symptomen aufzeigen, müssen diese schnell barrierearm eine Testung erhalten. Die aktuell teilweise wieder schließenden Corona-Ambulanzen müssen durch gut zugängliche Informationen zu alternativen Test-Möglichkeiten begleitet werden.
Testungen, um Öffnungen zu ermöglichen
Grundsätzlich machen Testungen, um Öffnungen zu ermöglichen, überall dort Sinn, wo das Ansteckungsrisiko aufgrund von der Dauer des Aufenthalts, der Raumgröße oder der erwarteten Aerosol-Produktion sehr hoch ist. Deswegen ist die Anwendung von Tests in Umgebungen mit einem niedrigen Infektionsrisiko wenig sinnvoll. Dies wäre zum Beispiel in kleinen Geschäften mit einem Aufenthalt von knapp 10 Minuten oder bei einer Maskenpflicht der Fall. Ebenso wäre eine Testung in Museen mit sehr großen Raumhöhen und niedriger Auslastung sowie einer Maskenpflicht nicht notwendig.
Sinnvoll sind „Tests zur Ermöglichung von Aktivitäten“ in Hochrisiko-Kontexten, die nicht auf Dauer angelegt sind. Dies wären bspw. Hochzeitsfeiern, der nächtliche mehrstündige Clubbesuch oder das dreitägige Festival. Bei der Anwendung von Tests zur Ermöglichung von Aktivitäten sollte allerdings immer das Kosten–Nutzen-Verhältnis betrachtet werden. So kann ein Restaurantbesuch ggf. nicht im Verhältnis zu den Testkosten stehen.
Diese Abwägungen sind aber nicht für regelmäßige Testungen, z.B. für Besuche in Notaufnahmen oder Schulen, anwendbar.
Testungen für die Sicherheit des Arbeitsplatzes, der Schulen und Altenheime
Diese Tests sind auf Dauer und Regelmäßigkeit angelegt. Sie beziehen sich im Wesentlichen auf konstante Gruppen, die miteinander interagieren. Hier können Pooling-Verfahren sinnvoller sein als Schnelltests für jeden Einzelnen. Bei Pool-Testungen werden Abstriche von mehreren Testpersonen in Gruppen zusammengefasst und analysiert. Wichtig ist, dass bei der Anwendung von Pooling-Verfahren das allgemeine Infektionsgeschehen gering ist.
Gerade aufgrund der Regelmäßigkeit sind schmerzarme und für die Getesteten möglichst kostenfreie Tests notwendig, um die Akzeptanz der Testungen auf Dauer erhalten zu können.
Fallstricke
1. Keine inflationäre Verwendung von Schnelltests
Eine Schnell-Testung von jede:r Bürger:in an jedem Tag ist vermutlich nicht sinnvoll, denn bei derart immensen Zahlen von Testungen wird dann auch die Rate falsch-positiver Tests ansteigen. Bei Millionen von Tests ist selbst eine Rate von bspw. 5% falsch-positiver Tests potentiell schädlich. Für Sachsen würde das bedeuten, dass bei einem niedrigen Infektionsgeschehen mit keiner einzigen echten Infektion in Sachsen pro Tag knapp 200 000 falsch-positive Tests per PCR-Test ausgeräumt werden müssten. Dies könnte dazu führen, dass Menschen unnötig in Quarantäne geschickt würden. Deswegen sind die Bedenken aus der Wissenschaft sehr groß, wenn von „Schnelltests für alle“ gesprochen wird. Es darf nicht vergessen werden: umso niedriger die Zahl der allgemeinen Infektionen ist, umso größer wird dann der Anteil falscher Ergebnisse an der Gesamtheit der positiven Schnelltests.
Dieser Nachteil entfällt, wenn die Falsch-positiv-Raten der Antigen-Tests noch deutlich niedriger werden. In Anbetracht des raschen technologischen Fortschritts und des enormen Bedarfs, liegt das im Rahmen des Denkbaren.
2. Große Heterogenität der Qualität der Schnelltests
Die aktuell verfügbaren Schnelltests zeichnen sich durch unterschiedliche Falsch-Positiv- und Falsch-Negativ-Raten aus, also ihrer Fehlquoten. Diese Fehlerquoten der gebräuchlichsten Tests müssen in die Planung von Teststrategien einbezogen werden. Die Teststrategien müssen angepasst werden, wenn bessere oder schlechtere Antigen-Tests verwendet werden.
Umso niedriger das tatsächliche Infektionsgeschehen im Freistaat, umso niedriger sollte die Fehlerquote der verwendeten Schnelltests sein, wenn sie für allgemein Testungen von asymptomatischen Personen eingesetzt werden. Denn sonst steigt der Anteil falscher Befunde stark an.
In der Konsequenz sind flächendeckende Schnelltestungen aller Einwohner:innen tatsächlich wahrscheinlich nur in Hochinzidenz-Regionen sinnvoll, es sei denn, es handelt sich um einmalige Gesamtbevölkerungs-Testungen, die mit PCR verifiziert werden.
Bei der verstärkten Verwendung von Schnelltests muss eine Informationskampagne für falsch-positive Testergebnisse und die Möglichkeit falsch-negativer Ergebnisse an die Getesteten erfolgen. Es muss klare, einfach verständliche Anweisungen für weitere Abläufe bei positivem Schnelltest-Ergebnis geben (bspw. häusliche Quarantäne und erneute Testung bspw. nach 3 – 5 Tagen oder Validierung mit PCR o.ä.)
Mögliche Eckpunkte einer konkreten Test-Strategie
- Einmalige obligatorische Schnelltestungen für nicht regelmäßig wiederkehrende Hochrisiko-Situationen, von Familienfeier über Parteitage bis Clubbesuche und Prostitution, finanziert durch Veranstalter
- Keine Schnelltestungen für nachgewiesenermaßen niedrige Risikokonstellationen, bspw. kurze Einkäufe, Theaterbesuche mit reduz. Kapazität und Maskenpflicht, Outdoor-Veranstaltungen incl. Outdoor-Restaurants etc.
- Gleichzeitig weiterhin barrierearme Testmöglichkeiten für symptomatische Patient*innen, Verlegungen im stationären Bereich, Krankenhauseinweisungen etc. finanziert ggf. via GKV/PV
- Schmerzarme, kostenarme und ggf. gepoolte regelmäßige Testungen von konstanten Gruppen in Risikokonstellationen, bspw. Schulklassen, Arbeitskolleg:innen, Pflegeheimpersonal, Krankenhauspersonal, ambulante Pflege, Rettungsdienst etc., finanziert durch den Freistaat/Bund
- Qualitativ verbesserte Inzidenz-Messung in der sächsischen Bevölkerung mit repräsentativen periodischen Zufalls-Testungen in der Bevölkerung