Meine Rede zum Bericht der Staatsregierung zur Corona-Pandemie
25. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 24.03.2020, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
ich vergleiche die Pandemie gern mit einer Naturkatastrophe, zum Beispiel einem nie erlebten Hochwasser. Auch da gibt es kein Regelwerk für die erfolgreiche Bewältigung der Situation. Wir schauen zu, wie das Wasser kommt, bauen schnell Dämme und sind überrascht, wenn sie brechen. Uns ist nicht klar, wie hoch der Damm genau sein muss. Wir gleiten auf Sicht durch das trübe Wasser. Alle bemüht, zum Teil bis in die letzte Faser angespannt und mit großer Verantwortungsbereitschaft, aber eben ohne Bauplan und nur sporadisch mit Baumeisterinnen und Baumeistern an unserer Seite.
Nach einem Jahr Pandemie scheint Vieles kaum erträglicher – obwohl wir inzwischen impfen können, Schnelltests haben, teilweise bessere Medikamente für die Behandlung der Erkrankten verfügbar sind und kein Mangel mehr an Schutzkleidung besteht.
Dennoch steigen die Inzidenzen wieder. Wir befinden uns am Beginn einer dritten Welle, wie viele andere europäische Länder auch. Viele von uns – auch ich – sind erschöpft, vom sich in die Länge ziehenden Krisenzustand. Diese Ermüdung ist absolut nachvollziehbar. Sie wird dadurch verstärkt, dass wir immer wieder vor Augen geführt bekommen, dass andere Länder – gerade auch die, die im letzten Jahr teilweise viel härter getroffen wurden als wir – nun gerade beim Impfen, deutlich besser dastehen.
Das kratzt an der Durchhaltekraft. Und es macht unzufrieden – auch die Mehrheit, die sich seit Monaten sehr umsichtig und solidarisch verhält. Die Krise ist für die meisten Menschen ein persönlicher Kraftakt. Perspektiven sind jetzt absolut notwendig. Die gesundheitlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nebenwirkungen der Maßnahmen werden immer spürbarer. Wir müssen hart daran arbeiten, neue und sichere Perspektiven möglich zu machen. Aber wir müssen auch ehrlich sagen, wann und wie sich eine Tür wieder schließt, weil die Krankenhausbetten voll sind oder der Öffentliche Gesundheitsdienst die Lage nicht mehr unter Kontrolle hat.
Die größten Herausforderungen sind aktuell die Organisation beim Testen, die schnelle, digitale Übermittlung der Ergebnisse und die Impfkoordination. Diese Aufgaben, sind wesentliche Voraussetzungen für den Weg zurück zu mehr Normalität. Aktuell gibt es daran viel Kritik. Berechtigte, aber auch unberechtigte. In den letzten Wochen gab es vor allem auf Bundesebene zu viele Ankündigungen, die leere Versprechen blieben.
Hinzu kommen große Defizite in der Kommunikation. Das unvermittelte Aussetzen der AstraZeneca-Impfung durch den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wurde nicht gut erklärt und hat nicht zuletzt die Impfzentren völlig unvorbereitet getroffen. Eine gute Aufklärung über die Impfstoffe bleibt wichtiger denn je. Auch bei der Auszahlung bereitgestellter Hilfsgelder hat die Bundesregierung die Geduld vieler Unternehmerinnen und Unternehmer verspielt: Rücklagen schwinden, die Stimmung in kleinen Unternehmen und bei Soloselbstständigen schwenkt um in Verunsicherung. Hier in Sachsen werden die Schutz-Verordnungen immer länger. Regelungen werden um zahlreiche Ausnahmefälle ergänzt. Das hat zur Folge, dass viele Bürgerinnen und Bürger die aktuellen Bestimmungen nicht mehr verstehen, zum Teil kapitulieren und auf Durchzug schalten. Ich bin dafür, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Wir BÜNDNISGRÜNEN haben in den letzten Monaten immer wieder betont, dass es KLARE PERSPEKTIVEN aus der Krise braucht. Das gelingt aus unserer Sicht bis heute nur unzureichend, weil die Basis des Krisenmanagements immer noch ungeklärt ist. Ja, es gibt einen fokussierten Krisenstab im Ministerium von Staatsministerin Köpping und mittlerweile auch einen Corona-Koordinator in der Staatsregierung. Doch eine gut vorbereite, transparente und ressortübergreifende, wissenschaftliche Beratung für neue wissenschaftliche Erkenntnisse fehlt und ist nicht Teil dieser Entscheidungskultur.
Ich habe den Eindruck, die Entscheidungsgrundlagen bleiben weiterhin intransparent, die MPK-Beschlüsse entstehen immer nur mit Blick auf die aktuelle Situation, oft unter hohem politischem Druck und sie sind häufiger in sich widersprüchlich. Die Menschen fragen sich: Was soll sich am 18. April dieses Jahres geändert haben?
Der Draufblick und der Weitblick fehlen. Damit sich das ändert, fordern wir seit Monaten einen interdisziplinären Austausch und nicht nur für den Bund einen unabhängigen Pandemierat. Dieser spricht nicht nur hinter verschlossenen Türen mit einem Ministerium, sondern berät und bereitet die jeweils neuesten medizinischen, sozialwissenschaftlichen, juristischen, gesundheitswissenschaftlichen und ökonomischen Daten für die Breite der sächsischen Landespolitik auf.
Bei all den kritischen Worten, gehört es aber auch dazu, deutlich zu machen, dass jeder, ob Ministerinnen und Minister oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitsamt, einen unglaublichen Job machen. Hier wird gerade Übermenschliches geleistet. Das sollten wir anerkennen und nicht unter dem Haufen von Vorschlägen, Kritik und Ratschlägen verschwinden lassen.
Reisen sie mit mir gedanklich nochmal nach Südwestsachen und nehmen wahr, was hier und auch anderswo passiert. Während sich an einem Ort Menschen sammeln, um mit Kerzen und Andacht den Corona-Toten zu gedenken, rennen einen Ort weiter mehrere Hundert Menschen ohne Masken, ohne Abstand und auch ohne Anstand an Absperrungen und Polizei vorbei und brüllen „Widerstand“. Es geht ihnen aber nicht um Widerstand gegen das Virus. Es geht ihnen um die Zersetzung von Staat, Verwaltung und Gesellschaft. Diese Demonstrationen werden nicht nur von besorgen Eltern, Impfskeptikern und Impfskeptikerinnen oder in ihrer Existenz gefährdeten Unternehmerinnen und Unternehmern organisiert und sind Teil von öffentlichem Protest, der in eine Demokratie gehört. Nein, wie auch jetzt wieder in Aue werden diese „Märsche“ von Rechtspopulisten und Rechtsextremen initiiert oder gekapert. Diese Sturmflut wird von Hetzern erzeugt und ist keine Naturkatastrophe, sondern ein menschengemachter destruktiver Angriff!
Es gilt, den Sächsinnen und Sachen den Weg hinter den nächsten Damm zu weisen. Wenn ich weiß, wo ich mich in Sicherheit bringen kann, ist auch einen Wasserstand von acht Metern irgendwie ertragbar. Wenn ich weiß, auf wen ich mich in der Krise verlassen kann, hat auch Zuversicht eine Chance.
Die Sächsinnen und Sachsen brauchen Perspektiven.
Hinweis: Videomitschnitt wird hier in Kürze eingefügt…
Bildquelle: Webseite des Sächsischen Landtag – Foto: Oliver Killig