Der folgende Beitrag zum Thema Impfflicht soll möglichst viele Aspekte dieses doch sehr komplexen Themas betrachten. Im Laufe der nächsten Wochen entsteht hier ein umfangreiche Übersicht, die verschiedene Perspektiven betrachtet und ein breites Bild bieten soll.
1. Das Dilemma
Grundrecht vs. Grundrecht
Wenn wir über Impfpflicht diskutieren, sprechen wir über einen Grundrechtseingriff. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, also die Entscheidung, lass ich mich impfen oder nicht, beinhaltet auch das individuelle Recht der eigenen Risikobewertung. Das wäre alles auch angegriffen, wenn wir nicht seit knapp zwei Jahren in einer Krise leben. Da diese Krise ebenfalls Grundrechte und Bedürfnisse einschränkt, wie den Besuch von Kita oder Schule (Recht auf Bildung), die Verschiebung von Operationen (Recht auf das höchste erreichbare Maß an körperlicher und geistiger Gesundheit) , Versammlungsfreiheit oder die Beschränkungen der Möglichkeiten sein Leben frei zu gestalten.
Eine hohe Impfquote ist aus wissenschaftlicher Sicht der Weg aus dieser Pandemie. Eine Impfpflicht verspricht diese zu erhöhen. Einen sehr differenzierten Blick wirft der Deutsche Ethikrat darauf:
Was die Deutschen zur Impfpflicht sagen lässt sich in der Cosmostudie regelmäßig nachlesen.
Laut dem ZDF-Politbarometer vom 14.01.2022 ist eine deutliche Mehrheit für eine allgemeine Impfpflicht: „Eine deutliche Mehrheit von 62 Prozent (Dez.: 68 Prozent) ist für die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht. 36 Prozent (Dez.: 31 Prozent) sind dagegen, dass sich jede/r gegen Corona impfen lassen muss. Eine breite mehrheitliche Unterstützung für die Impfpflicht gibt es bei den Anhängern der Grünen (76 Prozent), der CDU/CSU (73 Prozent) und der SPD (73 Prozent). Bei denen der Linke sind 53 Prozent dafür und bei denen der FDP 52 Prozent. Bei den Anhängern der AfD sind nur zehn Prozent für die Impfpflicht.“
2. Braucht es eine allgemeine Impfpflicht? Wartet die Pandemie auf unsere Überlegungen?
Wir BÜNDNISGRÜNE stehen auf der Seite der Wissenschaft und sind überzeugt, dass das Impfen entscheidend dazu beitragen kann, die Corona-Pandemie einzudämmen. Deshalb machen wir uns für niedrigschwellige Impfangebote und eine breite gesellschaftliche Aufklärung, z.B. Impfberatung, stark. Ob darüber hinaus eine allgemeine Impfpflicht ein geeignetes und angemessenes Mittel darstellt, obliegt der Gewissensentscheidung der einzelnen Abgeordneten.
Was unser Sächsischer Bundestagsabgeordneter, Bernhard Herrmann dazu bereits gesagt hat, könnt Ihr HIER nachlesen
Schnell oder gut?
In den Gremien des Bundestages wird tiefgründig zur Frage der Impfpflicht diskutiert. Es gibt Gruppenanträge, die von der Impfpflicht bis zur Ablehnung dieser reichen. Auch die Idee der Impfpflicht für Menschen ab 50 oder 60 Jahre wird diskutiert. Hier wird das individuelle Risiko der Altersgruppe zum Anlass genommen, um die gesetzliche Impfpflicht für die umzusetzen, die bei einer Infektion statistisch gesehen bisher am meisten gefährdet waren, schwer zu erkranken. Das gesetzgeberische Verfahren wird sich bis in den Frühling hinziehen.
3. Braucht es eine allgemeine Impfpflicht und was spricht dagegen?
Wir BÜNDNISGRÜNE stehen für das Prinzip der Eigenverantwortung. Deshalb hat es für uns nach wie vor höchste Priorität, Menschen mit den guten Argumenten der Wissenschaft vom Nutzen einer Impfung für unsere gesamte Gesellschaft zu überzeugen. Gleichzeitig sehen wir, dass die Impfquote in Sachsen nur sehr langsam steigt und mit der Omikron-Variante die nächste Herausforderung bereits da ist. Mit dieser Situation müssen wir umgehen und entsprechende Lösungen finden. Neben dem individuellen Schutz muss abgewogen werden, inwieweit eine Impfpflicht geeignet ist, negative gesellschaftliche Folgen abzuwehren.
Um einen derartigen Eingriff zu rechtfertigen muss die Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht geprüft werden:
- Steht überhaupt jedem Menschen eine kostenfreie Impfmöglichkeit zur Verfügung?
- Kann der Staat nachweisen, dass eine Impfflicht wirksam ist?
- Hat der Staat in allen Bevölkerungsgruppen ausreichend aufgeklärt?
- Kann dargelegt werden, dass beim Impfen bislang keine statistisch übermäßigen gesundheitlichen Risiken aufgetreten sind?
- Gibt es gleich effektive Möglichkeiten, das Virus zu bekämpfen, etwa durch Kontaktbeschränkungen?
- Wurden vor der Einführung einer Impfpflicht alle anderen milderen Maßnahmen wie niederschwellige Impfangebote und genügend Aufklärung über die Impfung ausreichend ausgeschöpft?
- Gibt es Ausnahmen von der Impfpflicht für Personen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können?
- Und fallen die Konsequenzen bei Verstößen angemessen aus, also etwa die Höhe von Bußgeldern?
Was spricht für eine Impfpflicht?
- Das Gesundheitssystem ist überlastet.
- Ohne Impfpflicht kein Weg aus der Pandemie.
- Die Mehrheit der Deutschen ist für eine Impfpflicht: Im ARD-Deutschlandtrend von Anfang Dezember befürwortet eine deutliche Mehrheit, nämlich 71 Prozent der Befragten, eine Impfpflicht. Das sind 14 Prozent mehr als Anfang November. Zudem sind gegenwärtig rund 71 Prozent der Deutschen vollständig geimpft.
- Die Nebenwirkungen sind gut erforscht und gering.
Was spricht dagegen?
- Die Gesellschaft spaltet sich weiter.
- Die Impfpflicht ändert nichts an aktueller Lage: auch Geimpfte sind bei einer Infektion ansteckend.
- Die Wirksamkeit aktueller Impfstoff gegen Omikron-Variante ist geringer.
- Teile der Politik sind bisher gegen eine Impfpflicht.
- Die Kontrolle der Impfpflicht scheint schwierig.
Wie stehe ich zur allgemeinen Impfpflicht?
Für mich ist eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahre sinnvoll, um die Impfquote zu erhöhen. Dazu sind eine wohnortnahe Impfberatung, die Wahl des Impfstoffes und die Erreichbarkeit des Impfangebotes Voraussetzungen. Eine zeitliche Befristung muss sicherstellen, dass die Impfpflicht immer wieder überprüft wird und die Haftungsübernahme bei Problemen muss gegeben sein.
Eine schöne Zusammenfassung zum Thema Impfpflicht „Pro & Contra“ habe ich HIER gefunden.
4. Eine Impfpflicht, um vulnerable Personen zu schützen?
Ja, unbedingt! Mein Impfbuch zeigt meine beruflichen Stationen und für mich war immer klar, wer am Menschen arbeitet, muss sich selbst schützen und die Menschen, für die er da ist.
Hochaltrige Menschen und Personen mit akuten oder chronischen Grunderkrankungen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Krankheitsverläufe. Diese haben einen erhöhten Unterstützungs- und Betreuungsbedarf und können ihre Kontakte nur schwer beeinflussen. Durch eine gemeinsame räumliche Unterbringung, die Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten und/oder häufig länger andauerndem nahem physischen Kontakt bei Betreuungstätigkeiten durch wechselndes Personal ist das Risiko einer Infektion zusätzlich erhöht.
Dem Personal in den Gesundheitsberufen und Berufen, die Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen betreuen, kommt eine besondere Verantwortung zu.
Seit Beginn der Pandemie stellten Krankenhäuser und insbesondere Altenpflegeheime immer wieder Orte dar, in denen es nach Eintragung des Virus zu Ausbrüchen mit teilweise hohen Todesfallzahlen kam.
Obwohl medizinischem Personal sowie Pflegepersonal bereits zu Beginn der Impfaktivitäten ein Impfangebot unterbreitet wurde, bestehen in diesen Einrichtungen nach mehrmonatiger Impfkampagne noch relevante Impflücken. Das ist für mich unverständlich!
5. Wie stehe ich zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht? Wie wird sie umgesetzt und für wen gilt sie?
Ich persönlich befürworte eine einrichtungsbezogene Impfpflicht. Sie trägt dazu bei, die behandelten Risikogruppen effektiv zu schützen. Die Zahlen zeigen, dass das Risiko der Weitergabe des Virus durch eine Impfung deutlich verringert wird. Regelmäßige Schnelltests bieten eine zusätzliche Sicherheit, können aber aufgrund möglicher Testfehler keinen ausreichenden Schutz bieten. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht muss einhergehen mit einer Impfberatung, einer Kampagne für die Mitarbeitenden und der Möglichkeit, zwischen Impfstoffen zu wählen.
So wird die einrichtungsbezogene Impfpflicht umgesetzt:
- Den Nachweis innerhalb der Frist bis zum Ablauf des 15. März 2022 in der betroffenen Einrichtung und Unternehmen vorlegen
- Bei Nichtvorlage muss die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens unverzüglich das zuständige Gesundheitsamt darüber benachrichtigen und dem Gesundheitsamt die erforderlichen personenbezogenen Daten weiterleiten.
- Das Gesundheitsamt wird den Fall prüfen und eine Vorlage fordern.
- Ohne Vorlage wird das Gesundheitsamt der betroffenen Person gegenüber ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot aussprechen.
Viele Fragen rund im das Thema „Impfpflicht“ werden auch in der FAQ des Sozialministeriums gut erklärt.
Wen betrifft es?
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht betrifft beispielsweise Beschäftigte von Kliniken, Pflegeheimen, Arztpraxen und Rettungsdiensten.
Wer genau dazu zählt, ist auf der Seite des Bundesministeriums für Gesundheit ganz gut erklärt. Schaut einfach mal HIER.
Die Begründung zum Gesetz findest Du HIER.
Der Erlass zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht in Sachsen ist in Vorbereitung. Das Ziel ist das Einvernehmen mit den Gesundheitsämtern. Den Link zur Mitteilung findest Du HIER.
6. Update zur allgemeinen Impfpflicht
Nach der Debatte im Bundestag liegt das Thema in drei Varianten auf dem Tisch.
- Impfpflicht für alle,
- Impfpflicht ab 50 Jahre
- und gar keine Impfpflicht.
Im Vordergrund der Debatte über die allgemeine Impfpflicht steht für mich, dass man mit dem Impfschutz schwere Krankheitsverläufe verhindern kann. Eine Impfung für alle wäre gut, um mit Blick gen Herbst auf der sicheren Seite zu sein. ABER Politik muss eben auch machbar sein und deshalb kann ich gut mit folgendem Kompromiss mitgehen, den z.B. auch meine liebe Kolegin, Paula Piechotta im Bundestag eingebracht hat.
Impfberatung ab 18
Da wir als BÜNDNISGRÜNE auf ein verantwortungsbewusste Entscheidung setzen und man diese nur nach sorgfältigem Abwägen seiner eigenen persönlichen Sorgen und der wissenschaftlichen Faktenlage treffen kann, ist mir die Impfberatung ab 18 besonders wichtig.
Impfpflicht ab 50
Dies ergibt sich aus den Daten der DIVI, der deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Dort hat sich klar gezeigt, dass die Zahlen der ab 50-Jährigen, die aufgrund Covid-19 auf der ITS behandelt werden mussten, dramatisch anstieg und weit über den Behandlungszahlen der unter 50-Jährigen lag. Daher ist der Schutz vor schwerer Erkrankung genau für die Personengruppe ab 50 Jahren besonders wichtig.
Nach wie vor bin ich der Meinung, dass eine Befristung der Impfplicht sinnvoll erscheint, da noch Keiner die Entwicklung des Virus, ggf. neue Varianten, vorhersehen kann und es dann neue Debatten und Entscheidungen braucht.
7. Update zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht
Es scheint ja gerade notwendig, bereits beschlossenes Recht (also so im Bundestag und Bundesrat abgestimmt) nochmal bestärken zu müssen. Daher mein klares Petitum für eine Impfpflicht für Mitarbeitende die direkten Kontakt zu besonders gefährdeten Menschen haben.
Eine Impfung ist ein Schutz für die Mitarbeitenden selbst und stellt zusätzlich einen Schutz gegenüber den Patient:innen dar. Das Ziel ist, eine gute Versorgung sicherzustellen.
Durch die Impfung wird z.B. der Ausfall von Personal durch schwere Krankheitsverläufe minimiert und verkürzte Quarantänen werden ermöglicht. Damit ist die Impfung aus meiner Sicht ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Patient:innen-Versorgung.
Klare Regeln helfen gegen Unsicherheit.
Wir brauchen einen Rahmen für den Umgang mit den wichtigen Einzelfallprüfungen. Wir sehen die Sorgen, die an uns kommuniziert werden und nehmen sie ernst. Aus unserer Sicht muss daher unter anderem abgewogen werden, wer durch den direkten Kontakt zu Patient:innen mit einer Impfung auch zu deren Schutz beiträgt.
Zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ist die Anerkennung von Genesenennachweisen ebenso zu ermöglichen wie die Möglichkeit, sich noch mit einem anderen Impfstoff wie z.B. Novavax impfen zu lassen.
Wir brauchen für die Pflege besondere Wertschätzung. Statt Druck auf eine Berufsgruppe auszuüben, wo die allgemeine Impfpflicht noch nicht in Sicht ist, finde ich es besser, gezielt vertrauensvolle Beratung und Aufklärung zur Verfügung zu stellen. Auch eine prioritäre Einstufung bei Novavax haben wir bereits vorgeschlagen. Eine Verhärtung der Fronten ist nicht gut; sie kann nicht das Ziel politischen Handelns sein.
Wer jetzt suggeriert, man könne Bundesrecht übergehen, der nimmt aus opportunistischen Gründen billigend in Kauf, noch mehr Vertrauen zu verspielen und Unsicherheiten weiter zu schüren. Es geht nicht nur um Jene, die Impfen zu Systemfrage erklären. Es geht auch um Jene, die sich an die Regeln gehalten haben und geimpft sind. Auch sie sollten das Gefühl haben, dass Politik sie sieht.