„Wir brauchen noch bessere Strukturen, damit junge Menschen mitgestalten können“
Mein Redebeitrag zur Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion SPD: „Gemeinsam die Zukunft gestalten – Teilhabe und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in den Fokus rücken“
62. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 15.12.2022, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte Herr Präsident, sehr geehrte Kolleg*innen,
sehr geehrte Kinder, Jugendliche und Gäste,
stellen Sie sich vor, überall in Sachsen gibt es kleine und große Think-Thanks, die sich selbst organisieren und nach Lösungen suchen für ihre Probleme und Themen.
In einem Dorf braucht es eine neue Turnhalle, im Stadtteil 20 Kilometer weiter ist die ÖPNV-Anbindung nicht gut getaktet. In der Gemeinde nebenan hat man festgestellt, dass es eine Quartiersküche braucht, damit die Menschen aus Kita, Schule, Gemeindeverwaltung und die Senior*innen und Eltern in Elternzeit aus dem Ort ein gutes Essensangebot gemeinsam haben. Sieben Meilen weiter sucht die Jugendfeuerwehr nach „Alten Feuerwehrleuten“, die ihnen das Handwerkszeug beibringen, weil sie wieder eine Wehr in ihrem Dorf errichten wollen.
Überall gibt es kleine Zellen von Menschen, die etwas gemeinsam bewegen – einfach, weil sie gelernt haben, dass es Sinn macht, seine Ideen zu verfolgen. Weil sie in der Lage sind, für ihre Ziele zu werben, weil sie Kompromisse aushandeln können und weil es Orte gibt, die dies unterstützen.
Mir gefällt diese Bild von einem Sachsen, wo Menschen gemeinsam Probleme lösen, ihre Kompetenzen einsetzen und ihre eigene Welt in die Hand nehmen.
Was es dazu braucht, ist ganz einfach. Es braucht Selbstwirksamkeitserfahrungen!
Wie schafft man dies? Durch Beteiligung und Teilhabe!
Ich bin der SPD sehr dankbar für diese aktuelle Debatte, weil sie damit ein aktuelles Anliegen hier platziert. Die Beteiligung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen ist kein Selbstzweck, es ist eine wissenschaftlich belegte Methode, um eine Gesellschaft handlungsfähig zu machen und um die Resilienz zu stärken.
Wenn Menschen die Erfahrung machen: Auf mich kommt es an! Ich kann Mitbestimmen und bin Teil der Lösung! Ich kann Verantwortung übernehmen! Ich bin mündig! Dann sammeln sie Erfahrungen, die wir dringend brauchen, um als Gesellschaft Lösungen für unsere vielen kleinen und großen Probleme zu finden.
Und wir werden zufriedener, weil es gut tut, Teil der Lösung zu sein, als immer nur das Problem zu beschreiben.
Wie schaffen wir das nun? Indem wir Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ernsthaft beteiligen – und zwar dort, wo sie leben, wo sie ihren Tag verbringen und wo sie es auch wollen.
Was läuft dabei schon gut? Lassen sie mich drei Punkte benennen, die aus meiner Sicht wirklich gut laufen:
- Das Thema Kinder- und Jugendbeteiligung genießt politischen Rückenwind und es gelingt zunehmend, dieses Thema auf (kommunal)politischen Agenden zu platzieren. So ist mir auf der letzten Sommertour nicht nur ein Gemeinderat begegnet, der voller Stolz erzählt, wie es gelingt, junge Menschen einzubeziehen und damit wichtige Standortfaktoren zu setzten, die Innovation generieren und die Abwanderung der Generation 16+ stoppen.
- Für diese Prozesse gibt es mittlerweile gute und wichtige fachliche Unterstützungssysteme, wie die Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung, das Programm „Jugend bewegt Kommune“ oder auch die Partnerschaften für Demokratie. Diese unterstützen wir als Land maßgeblich.
- In den vergangenen Jahren hat sich unter den Akteur*innen ein Netzwerk der konstruktiven, fachlichen und vertrauensvollen Zusammenarbeit entwickelt – so dass die einzelne Bürgermeister*innen oder der Gemeinderat auf echte Schätze bei der Umsetzung treffen.
Neben den Dingen, die gut laufen, gibt aber auch der Part, bei dem noch Luft nach oben ist. Lassen sie mich hier auch auf drei Punkte eingehen:
- Orte für jungen Menschen als Garanten für Beteiligung und Teilhabe müssen langfristig gesichert sein. Wir bauen seit drei Jahrzehnten die Orte der Jugendarbeit aus Pappmaschee, die bei jedem kleinen Sturm Gefahr laufen, aufzuweichen. Orte, wo haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen verschwinden und junge Menschen die Lust daran verlieren, sich langfristig zu binden.
- Beteiligung junger Menschen passiert in aller Regel vor Ort – und dort sind die Strukturen in den ländlichen Räumen oft nicht erreichbar: Schauen wir in die aktuelle Studie des Sächsischen Sozialministeriums „Wie ticken junge Sachsen“, die deutlich macht, dass sich lediglich 15 Prozent der Befragten gar nicht ehrenamtlich engagieren und damit ein großes Potenzial an Energie da ist – aber fast 30 Prozent nicht mit dem Freizeitangebot zufrieden sind oder nur je 6 Prozent regelmäßig ein Jugendhaus besuchen oder an einem Ferienprogramm teilnehmen. Oftmals, weil es kein erreichbares Angebot gibt.
- Ein Mangel an Strukturen vor Ort, in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, bedeutet auch fehlende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, die eben mehr ist als junge Menschen mal zu fragen, was sie wollen.
In der Schlussfolgerung müssen wir also feststellen: Wer will, dass eine neue Generation das Handwerkszeug von Mitbestimmung, Verantwortungsübernahme und Aushandlungskompetenzen bekommt, der muss die Orte und Strukturen dafür ermöglichen.
Den Wert der Mitbestimmung und Teilhabe von jungen Menschen müssen wir dabei noch deutlicher hervorheben. Sie sind vor Ort oft wenige. Sie sind meist noch nicht vernetzt oder sie wirken gelegentlich auch noch orientierungs- und planlos. Dabei vergisst man schnell, dass sie aber ganz klar die Zukunft sind! Ihre Entscheidung, im Ort zu bleiben, ihre Ideen für die Aufgaben der Zukunft und ihre Leidenschaft, Dinge anzupacken, werden viel entscheidender sein, als viele Vorlagen in der Gemeindeversammlung im nächsten Monat.
Ach, was wäre das für ein Sachsen, wo sich Menschen beteiligen, statt zu meckern. Wo es Ideen gibt, statt Angriffe. Und wo viele Menschen entdecken, dass Beteiligung Spaß macht. Es ist ja fast Weihnachten, da ist träumen erlaubt.