42. Plenarsitzung am 22. Dezember 2021
Prioritätenantrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD
Drucksache 7/8383
Sehr geehrter Präsident,
meine Damen und Herren,
viele Menschen – auch Jugendliche – beschreiben ihren Zustand in der vierten Welle der Pandemie als „mütend“ (müde & wütend). Die Pandemie hinterlässt bei jedem von uns Spuren. Und das ist absolut normal, denn wir Menschen sind soziale Wesen. Wir brauchen die Herde oder Gemeinschaft, junge Menschen würden das eher als ihre Bubble beschreiben. Und wir erleben den Dauerzustand der Ungewissheit als anstrengend, manchmal auch als ohnmächtig.
Die Pandemie stellt uns vor neue Herausforderungen, die weit über den Infektionsschutz hinaus reichen. Virologen verstehen das Infektionsgeschehen besser, Psychotherapeut*innen sehen die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit, Ärzt*innen erforschen die Langzeitfolgen einer durchlebten Corona-Erkrankung.
Die Aufgabe der Politik ist es, die Pandemie mit konkreten Schutzmaßnahmen zu bekämpfen und dabei niemanden allein zu lassen. Gesundheits- und Sozialpolitik muss zusammen gedacht werden. Dort wo schnelle Hilfe notwendig ist, muss diese trotz Pandemie verfügbar bleiben. Wenn ich durch eine sächsische Kleinstadt laufe und im Schaufenster der Beratungsstelle hängt ein großes Schild, dass diese geschlossen ist, aufgrund der aktuellen Coronaverordnung, sehe ich, dass da noch viel zu tun ist. Die Coronaverordnung schließt keinesfalls Beratungsangebote für „Jung und Alt“, im Gegenteil wir kommunizieren aus allen Kanälen, dass gerade diese Anlaufstellen jetzt wichtiger sind denn je.
Unser Hilfesystem muss krisenfest sein.
Und wir müssen unseren Blick auf die Menschen richten, die besonderen Belastungen und Risiken ausgesetzt sind. Das sind auch Kinder und Jugendliche!
Kleine Kinder in ihren Familien, die kaum Lebenszeit in normalen Kitazeiten, mit Familienbildungsangeboten, Spielnachmittagen oder Elternabende kennen, sondern nur Einrichtungen die alles versuchen, um so gut es geht zu betreuen, aber keine sozialen Angebote zusätzlich anbieten können.
Kinder Im Grundschulalter für die freies Spiel im Hort, Kindergeburtstage, Sportvereine und Musikschule immer unter dem Gebot der Kontaktminimierung funktionieren und damit immer Grenzen in den sozialen Beziehungen mitbringen.
Jugendliche, die per Entwicklungsauftrag in Gruppen abhängen, gemeinsam tanzen oder dem Ball hinterherjagen müssen. Die Begegnung, Konflikt und Austausch brauchen, um über Reibung und Erkenntnis ihre eigene Identität zu entwickeln, müssen genau dies auf ein Minimum reduzieren und damit fehlt eine zentrale Lebenserfahrung mittlerweile das zweite Jahr.
Junge Menschen haben in den letzten Monaten viele Einschränkungen mittragen müssen, durch das Homeschooling, den Wegfall vieler Freizeitangebote und Einschnitten im Freundeskreis. Das müssen wir uns als Erwachsene deutlich machen, um die Priorität an der richtigen Stelle zu setzten. Wir BÜNDNISGRÜNE sind überzeugt, jetzt, in der vierten Welle, gehören die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt.
Wir können uns durch die Impfung besser schützen und einen entscheidenden Beitrag zur Pandemie-Bekämpfung leisten. Jetzt sollten wir Erwachsenen bewusst solidarisch sein mit der jungen Generation. Warum? Kindheit und Jugend sind prägend für das weitere Leben. Wir haben die Verantwortung, ein gesundes Aufwachsen zu unterstützen. Deshalb haben wir die notwendigen Corona-Schutzmaßnahmen seit November umgekehrt. Beschränkungen gelten vor allem für Ungeimpfte, in der Freizeit auch für geimpfte und genesene Erwachsene. Deutlich mehr ist erstmals für junge Menschen bis 16 Jahre, hoffentlich bald bis 18 Jahre möglich. Durch regelmäßige Testungen erhalten wir Ihnen mehr Normalität im Alltag, mehr Freizeit und mehr Bewegung.
Doch es braucht noch mehr. Mit diesem Antrag wollen wir als Koalition die Belastungen von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie analysieren und diesen durch Jugendarbeit und psychosoziale Begleitung entgegenwirken.
Jugendämter melden steigende Zahlen bei den Inobhutnahmen – und zwar deutschlandweit. Mehr und mehr Studien zeigen die Belastungen junger Menschen auf und Mediziner fordern uns als Politik zum Handeln auf.
Im „Strategiepapier der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer zur Bewältigung der psychischen Folgen der Pandemie für Kinder, Jugendliche und Familien“ sind beispielsweise jetzt im Dezember konkrete Erkenntnisse formuliert. Hochrisiko-Familien brauchen mehr Aufmerksamkeit, Ängste und Sorgen von Kindern und Jugendlichen zeigen einen Anstieg psychosomatischer Beschwerden und depressiver Symptome. Der Bewegungsmangel birgt ernstzunehmende gesundheitliche Risiken. Auch die Stressbelastung von Eltern kann sich auf die Kinder auswirken.
Daraus leiten sich konkrete Aufgaben für die Politik ab. Einige davon sind im Strategie-Papier beschrieben: der dringend notwendige Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung für Kinder und Jugendliche und die Schaffung neuer Angebote, mehr Präventionsangebote in der Kita, Schule und der Kommune, die Stärkung der Schulsozialarbeit und Schulbegleitung und eine starke Jugendpolitik in den Jugendhilfeausschüssen. Dazu ist es notwendig Zahlen, aber auch Erfahrungen aus den Einrichtungen in Sachsen zusammen zu tragen, um richtig reagieren zu können.
Wir brauchen außerdem ein Bild darüber, wie und in welcher Form Kinder nach einer Infektion von Long Covid betroffen sind und welche Bedarfe daraus für sie und ihre Eltern entstehen. Die medizinische Begleitung wird eine langfristige Aufgabe, die Entwicklung der Leitlinie ist dabei noch im Prozess. Die daraus resultierenden Angebote müssen wir auf den Weg bringen. Um Kinder und Jugendliche und deren Familien nach einer Erkrankung nicht allein zu lassen.
Im dritten Teil des Antrags fordern wir die Staatsregierung auf, bereits jetzt einen Schritt weiterzugehen und den Blick in Richtung Resilienz zu richten. Hier ist die Frage, wie müssen Angebote aufgestellt sein, damit sie in Krisen gut funktionieren und langfristig durchhalten. Man kann sich nicht auf jede Situation einstellen, aber im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, der Beratung von Familien und des Kinderschutzes war das System schon vor Corona so auf Kante genäht, dass jede Irritation zu einem Ausfall führen kann.
Das geht nicht alleine, deshalb ist hier die Beteiligung vieler notwendig. Was an dieser Stelle dringend auf den Tisch muss, ist die Frage der Zusammenarbeit. Diese Krise zeigt, dass wir das alte Muster der Verantwortungsdelegation verlassen müssen. Stadt gegen Land, Landkreis gegen Gemeinde und alle zusammen gegen den Bund, ist in Krisen kein hilfreicher Ansatz.
Last but not least wir haben für 2022 für den Bereich der Jugendarbeit, aber auch der Unterstützung und Beratung von Kindern, Jugendlichen und Eltern noch Geld im Landeshaushalt über das Bundesprogramm „Aufholen nach Corona“ und das sollten wir gut ausgeben. Gut heißt, so dass es vor Ort wirken kann und jungen Menschen einen unmittelbaren Nutzen bringt. Hier hat der letzte Landesjugendhilfeausschuss gezeigt, dass es noch Verständigung zwischen Verwaltung und Trägern braucht.
Apropos Landesjugendhilfeausschuss: Wissen Sie als Abgeordnete eigentlich um die Besonderheit dieses Gremiums? Er soll die besondere Bedeutung von jungen Menschen als Teil unserer Bevölkerung repräsentieren. Kinder und Jugendliche haben kein Wahlrecht, aber unsere Vorfahren haben das mit dem Landesjugendhilfeausschuss und auf kommunaler Ebene mit den Jugendhilfeausschüssen zu kompensieren versucht. Diese Gremien sind die Einzigen, die fachliche Voraussetzungen an ihre Mitglieder formulieren. Hier im Haus ist wenig vom Landesjugendhilfeausschuss die Rede, dass sollten wir ändern. Weil es ein Gremium ist was aus Experten der Praxis, aus den Verantwortungsträgern der Verwaltung und den Jugendpolitikern dieses Hauses besteht. Das ist eine wirklich gute Mischung. Vielen Dank an Alexander Dierks, der den Ausschuss leitet, dass er dies mit Stringenz, Fachlichkeit und gelegentlich auch dem hartem Verzicht leistet.
Der Antrag jetzt ist kein Startschuss für den Freistaat, sich den Belastungen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie zu widmen sondern eine Verstärkung. Es ist die Bekräftigung dieser Aufgabe! Mit dem „Kick-off“ für die Kinder- und Jugendhilfe hat das Ministerium bereits Maßnahmen formuliert und an den Start gebracht, die die Kinder- und Jugendhilfe zukunftssicher und coronafest gestalten sollen.
Lassen Sie uns gemeinsam an dieser Aufgabe weiterarbeiten. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.