Stand: 24.11.2021
Die dramatisch steigenden Infektionszahlen in Sachsen und die extrem hohe Belastung der Krankenhäuser ließen keine andere Entscheidung zu, als mit der Corona-Notfall-Verordnung Kontakte stark und effektiv zu reduzieren. Vorrangig wurden verschärfende Maßnahmen für Ungeimpfte beschlossen. Jedoch ließ sich, um das Ziel der deutlichen Kontaktbeschränkung – wissenschaftliche Empfehlung um 60% – zu erreichen, nicht vermeiden, dass auch Einschränkungen für Geimpfte greifen müssen. Hier bezieht sich dies insbesondere auf den Freizeitbereich.
Die aktuelle Verordnung gilt bis 12.12.2021 und wird am 07.12.2021 evaluiert. Ziel ist, bis dahin Effekte aufzuzeigen und die Neuinfektionen zu reduzieren. Derzeit sehen wir, dass das unsolidarische Verhalten von einigen Sächsinnen und Sachsen, die sich z.B. nicht an die AHA-L-Regeln gehalten haben oder sich nicht gegen SARS-CoV 2 impfen lassen haben, deutlich mehr Ansteckungen verursacht als im Bundesvergleich.
Es wird also weiterhin notwendig sein, zu kommunizieren, dass die vierte Welle mit einer so hohen Ansteckungswahrscheinlichkeit einhergeht, dass auch individuell nur die Entscheidung zu treffen ist, ob man sich natürlich infiziert oder impfen lässt, den signifikant risikoärmeren Weg wählt.
In die gesundheitspolitische Diskussion mischt sich die unwissenschaftliche und medizinisch gefährliche Erzählung, dass eine stabile Gesundheit ausreicht, um sich gegen schwere Verläufe zu schützen. Dieser muss vehement widersprochen werden.
Bei 0,9 % der Infizierten wird eine intensivmedizinische Behandlung notwendig, dass zeigt die Dramatik der Erkrankung für den Einzelnen (fast jeder 100te Infizierte kommt auf eine ITS), und dies macht die kontinuierlich steigende Belastung im Gesundheitssystem deutlich.
Handlungsleitend muss der Gesundheitsschutz aller sein und das Aufrechterhalten der medizinischen Versorgung, der Bildungs- und Betreuungsangebote und der sozialen Infrastruktur. Einschränkungen in diesen Bereichen sind für uns nicht zu verantworten.
Die aktuelle Corona-Notfall-Verordnung vom 19.11.2021 bildet genau das ab, in dem die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen und die soziale Infrastruktur nicht eingeschränkt werden und der Fokus der Kontaktreduzierung auf der Welt von Erwachsenen liegt. Die Einschränkung auf das 16. Lebensjahr ist dabei zu überprüfen, da nach Gesetz alle Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr besondere Schutzrechte genießen.
Es braucht strategische Kommunikation medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse und Wissen aus dem Bereich Public Health, die dem Parlament helfen können, Entscheidungen reflektiert zu begleiten. Daher ist die Beratung durch Expert*innen, auch in der jetzigen Situation notwendig. Die Expert*innen müssen dem Corona-Sonderausschuss in der Anhörung, insbesondere in der Auswertung der Evaluation, beratend zur Seite stehen.
Die Expertise des Bürgerforums „Forum Corona“ kann durch regelmäßige Berichterstattung die Perspektive ergänzen und über Empfehlungen in die Entscheidungsprozesse einfließen.
Die Sächsinnen und Sachsen brauchen eine verlässliche und sicherheitsorientierte Corona-Politik, die Planungen im privaten und öffentlichen Leben ermöglichen. Dazu zählt die konsequente Umsetzung der Basismaßnahmen AHA-L. Die Umsetzung dieser Maßnahmen, auch mit Unterstützung von Kräften des SMI, und die Verfolgung von Verstößen ist dabei notwendig. Der Einsatz der Corona-Warn-App zur Kontaktverfolgung und zum Nachweis des Impf- und Genesenen-Status ist zu priorisieren.
Neben der starken Kontakteinschränkung steht das Voranbringen der Impfquote im Vordergrund. Das Potential der Impfwilligen kann aber in den nächsten Wochen und mit einer verstärkten Impfkampagne gehoben werden. Diese Kampagne steht unter begrenzten personellen Rahmenbedingungen und weiteren Einschränkungen, wie die Deckelung von Impfdosen. Das Thema wird weiterhin sehr emotionalisiert, daher braucht es eine Versachlichung.
Es muss alles getan werden, um das Impfen niedrigschwellig und wohnortnah zu ermöglichen. Es muss gleichzeitig aber ein gemeinsames Erwartungsmanagement bei allen Akteuren auch öffentlich getragen werden, dass bei absolut begrenzten Ressourcen nur im Rahmen des Möglichen agiert werden kann.
Maßnahmen zur Intensivierung der Impfkampagne sind:
- Aufklärung über die Impfung durch Werbekampagnen oder Postwurfsendungen
- zielgerichtete Anschreiben zur Booster-Impfung an die Sächs*innen, die über 60 Jahre alt sind
- Verstärkung der aufsuchenden niedrigschwelligen Impfangebote
- Schwerpunktimpfungen in Regionen mit niedriger Impfquote ausbauen
- Einrichtung stationärer Impfangebote
- Einrichtung einer telefonischen Terminbuchung
- Ausweitung der Impfbefähigten durch Einbeziehen der Zahnärzte, Apotheker, ggf. Tierärzte
- Betriebs- und Sportärzte verpflichtend in die Impfkampagne einbeziehen
- logistische Vorbereitungen des Kinderimpfens U12 mit den Kinderärzten und Erarbeitung einer Informationskampagne, u.a. mit Sozialpartnern wie Kitas und Schulen
Eine einrichtungsspezifische Impfpflicht, insbesondere in Gesundheits-, Pflege- und anderen Bereichen, bietet einen Schutz für besonders gefährdete Menschen. Damit sollen vulnerable Gruppen schnellstmöglich effektiv geschützt werden. Die gesetzlichen Grundlagen dazu müssen aus der Ampel-Koalition zeitnah erfolgen, um in Sachsen die notwendigen logistischen Schritte einzuleiten. Die Sorge von Einrichtungen mit vielen ungeimpften Mitarbeiter:innen, dass es damit zu einer weiteren Flucht aus diesen Berufen kommen kann, kann nicht dazu führen, dass Personengruppen, die besonders von dem Virus bedroht sind, nicht geschützt werden. Die im März 2020 eingeführte Masernimpfpflicht hat gezeigt, dass Mitarbeiter:innen bereit sind, für ihren Schutz und den Schutz ihrer Klienten sich impfen zu lassen.
Um die Kontaktnachverfolgung vor Ort wieder zu gewährleisten, dienen auch die Kontaktreduzierungen des Wellenbrechers bzw. der aktuellen Verordnung. Vor möglichen Öffnungsschritten müssen die Landkreise und kreisfreien Städte wieder in der Lage sein 80 % der Indexfälle und vulnerablen Kontakte informieren und begleiten zu können. Dazu werden die internen Ressourcen der entsprechenden Verwaltung, Abordnungen auch von Landesbediensteten und die Bundeswehr eingesetzt.
Die komplette Auslastung der ITS-Stationen ist nicht mehr zu vermeiden. Da benachbarte Bundesländer nur bedingt aufnahmefähig sind, müssen die Verlegungen auch in entfernte Bundesländer vorbereitet werden. Auch die Einbeziehung der Reha-Kliniken muss erwogen und vorbereitet werden. Die Überlastung des Krankenhausbereichs stellt eine Gefahr für die Versorgung dar. Die Befassung mit dem Thema Triage wird von den Vertreter*innen der Ärzteschaft gewährleistet. Die Erkenntnisse dazu sollten erläutert werden, um Ängste und Sorgen der Bevölkerung dazu auch aufgreifen zu können.
Personal ist auch in dieser Welle der kritische Punkt, daher ist eine andauernde Überlastung eine Gefährdung für die personelle Ausstattung. Die dauerhafte Aussetzung der Personalbemessungsgrenzen stellt eine Überforderung der Mitarbeitenden dar. Gerade in Bereichen, die die Schicksale dieser Pandemie erleben müssen, ist eine kontinuierliche psychologische Begleitung für die Mitarbeitenden notwendig. Diese Angebote sind auszubauen und bei Bedarf mit Angeboten der Seelsorge zu kombinieren. Personaleinstellung für Helfertätigkeiten sind bürokratiearm zu ermöglichen. Die Aktivierung von zusätzlichem Personal aus der derzeit von der Betriebsschließung betroffenen Branchen ist mit der Bundesagentur für Arbeit und den Berufsverbänden zu prüfen. Es gibt viele Menschen in Sachsen, die Kompetenzen und Fähigkeiten haben, um Pflege, Reinigung, Ernährung und Versorgung zu gewährleisten. Die Herausforderung ist diese in den veränderten Bedarfen zusammenzubringen.
Die Kommunikation von Maßnahmen, Regeln und medizinischen Informationen stellt eine besondere Herausforderung dar. Es gelingt derzeit nicht, Teile der Bevölkerung zu erreichen. Da dies nicht mit den eingeübten Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit gelingen kann, ist der Einsatz einer Agentur zu prüfen, die sich im Auftrag der Staatsregierung ressortübergreifend mit einer niedrigschwelligen Kommunikation beschäftigt. Das Label “So geht sächsisch“ kann dabei einen Beitrag leisten.
Konkrete Vorschläge dazu haben wir in einem BÜNDNISGRÜNEN Positionspapier zusammengefasst.