Vor Ort zu sein und mit den Akteuren zu sprechen heißt für uns, die verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.
Die erste Station heute war das European Asylum Support Office (EASO). Die Organisation unterstützt die griechische Regierung und den Greek Asylum Service (GAS) bei der Registrierung der Geflüchteten und der Durchführung der Interviews. In über 30 kleinen Räumen werden täglich durch das EASO und den GAS bis zu 70 Interviews mit geflüchteten Menschen geführt und über deren Anerkennung entschieden. Die meisten der Mitarbeiter*innen sind Griech*innen. Die Hauptaufgabe sieht EASO in der Harmonisierung der Verfahren und dem möglichst schnellen Abarbeiten der Interviews. Um dieses Verfahren durchführen zu können, lernt EASO die Interviewer an und organisiert den Prozess. Weitere Informationen zum Interviewleitfaden können HIER nachgelesen werden.
An einem runden Tisch haben wird dann mit vier NGOs im Bereich Rechtsberatung gesprochen: Greek Council for Refugees (GCR), HIAS, Legal Center Lesbos und Fenix.
Die NGO´s beleuchten das griechische Asylsystem aus ihrer Perspektive für uns. Im Bereich der Rechtsberatung und sozialen Unterstützung arbeiten sie rein ehrenamtlich, meist gelingt dies nur mit der Unterstützung internationaler Voluntäre, die von ein paar Wochen bis zu 6 Monaten vor Ort arbeiten. Vom Griechischem Staat bekommen die NGO´s keine finanziellen Hilfen, vielmehr werden sie in ihrem Wirkungskreis beschränkt, zum Beispiel durch die Registrierungspflicht.
Inhaltlich versuchen die NGO´s vor den Interviews zu beraten, da es keinen öffentlichen Zugang zu Informationen für die geflüchteten Menschen gibt, und sie begleiten bei Terminen.
Zu dem griechischem Asylverfahren, insbesondere zu der seit dem 01.01.2020 geltenden Fassung des griechischem Asylgesetzes, dem „International Protection Act“ (IPA) gibt es von Seiten der NGO´s viel Kritik.
Das neu eingeführte „beschleunigte Verfahren“ auf den griechischen Inseln sieht vor, dass Geflüchtete nur einen Tag Zeit haben, sich auf ihr Interview vorzubereiten. Viel zu wenig Zeit für die Betroffenen um eine Rechtsberatung aufzusuchen und noch weniger Zeit für die Berater*innen, um sich in die komplexen Fälle einzuarbeiten.
Es gibt Lücken bei der Weitergabe von Informationen. In den Camps gibt es keine Adressen, die Menschen sind nur über Telefon erreichbar. Telefone werden gestohlen. Oft werden die sogenannte „Community-Leader“ angerufen, welche die Informationen an die Betreffenden weiterleiten.
Die Menschen stehen dadurch unter hohem Stress, weil sie in ständiger Angst leben, die Einladung zum Interview oder anderen wichtige Informationen zu verpassen.
Den geflüchteten Menschen wird ein*e Dolmetscher*in für das Interview gestellt. Die ehrenamtlichen Rechtsberater müssen selbst Dolmetscher*innen organisieren. Weiterhin haben die Geflüchteten das Recht auf eine*n Anwalt bzw. Anwältin, dieser wird aber nicht von staatlichen Organisationen gestellt oder finanziert.
Derzeit gibt es auf den griechischen Inseln nur freiwillig arbeitende Anwält*innen, welche nur für einen bestimmten Zeitraum vor Ort sind. Eine kontinuierliche Bearbeitung von Fällen kann damit nicht gewährleistet werden. Ein weiteres großes Problem des reformierten Asylrechts ist, dass das Einreichen eines Rechtsmittels (appeal) anwaltspflichtig ist. Der Appeal muss von einem griechischen Anwalt eingereicht werden. Nur zwei Anwält*innen auf dem griechischem Festland stehen hierzu zur Verfügung.
Grundsätzlich haben die NGO´s Zugang zu den Geflüchteten. Auf Grund des Corona-Lockdowns ist es aber nur noch einer beschränkten Anzahl an Personen aus den Lagern erlaubt, diese zu verlassen und die Beratungsstellen der NGO´s aufzusuchen. In letzter Zeit haben nur 70 – 150 Personen am Tag eine Erlaubnis zum Verlassen der Lager erhalten.
Viele Familienzusammenführungen im Dublin-Verfahren kommen nicht und nur nach langer Zeit zustande. Es gibt einzelne Familienmitglieder die, trotz der Entscheidung, dass die Familienzusammenführung stattfindet, lange auf die Weiterreise zu ihren Familienangehörigen warten müssen. Uns wurde von einigen Fällen berichtet, in denen zwar ein Elternteil mit dem minderjährigem Kind zu dem anderen Elternteil reise durfte, das volljährige Kind hat jedoch keine Erlaubnis erhalten. Außerdem gibt es viele Fälle, in denen Griechenland das nach dem Dublin-Verfahren erforderliche Gesuch um (Wieder)Aufnahme aus deutscher Sicht zu spät stellt. In diesen Fällen lehnt Deutschland die (Wieder)Aufnahme ab.
Die hier beschriebenen Probleme resultieren letztendlich aus der Tatsache, dass Griechenland überfordert ist. Es geht kein Weg vorbei an einem abgestimmten europäischen Asyl- und Migrationspakt.
Aber es braucht nicht nur neue Vereinbarungen, auch schon lange ausgehandelte Verfahren, wie die Familienzusammenführung im Dublin-Verfahren müssen regelhaft genutzt werden. Auch unabhängig von Covid 19 sind die Zeitabläufe und die Verbindlichkeit zu überprüfen. Es muss Ziel sein, dass Familien sehr zeitnah an einem Ort in Europa Schutz und Perspektive erhalten und nicht das einzelne Familienmitglieder monatelang trotz Bescheid auf seine Weiterreise warten muss.