Mein Redebeitrag zur Zweiten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „,Warten, bis der Arzt kommt?‘ – Verhältnisse aktiv gestalten, statt Mangel weiter verwalten!“
65. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 02.02.2023, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Abgeordnete,
Ärztemangel ist ein sehr emotionales Thema, weil wir uns alle dabei in einer Notsituation sehen, wo wir befürchten, keine Hilfe zu bekommen. Menschen sind nicht bereit, hier Kompromisse zu machen.
Wenn ich einen Augenarzt in Stollberg suche, ist es mir egal, dass es in Görlitz laut Kassenärztlicher Vereinigung eine Überversorgung gibt. Vor Ort in Stollberg habe ich keine Chance, für meine Angehörige einen Termin zu bekommen. Vor Ort ist das Pflegeheim völlig aufgeschmissen, wenn es eine dringende Untersuchung für den Bewohner braucht, der nicht durch halb Sachsen fahren kann.
Laut Bedarfsplan 2022 der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen erreichen 95 Prozent der Menschen in Sachsen eine*n Hausärzt*in in unter 20 Pkw-Minuten. Die Versorgung mit Kinderärzt*innen sieht in allen Regionen gut aus, kaum eine Gebiet hat einen Versorgunggrad unter 100 Prozent.
Das klingt erstmal gut.
Woher kommt dann die Dissonanz zwischen dem Versorgungsgrad und der Wahrnehmung, dass die ärztliche Versorgung nicht funktioniert?
- Medizinische Versorgung findet vor Ort statt und nicht im statistischen Durchschnitt eines Datenblattes. Da stellt sich nur die Frage: „Ist da jemand, der mich behandelt und bekomme ich einen Termin?“
- Die tatsächliche Erreichbarkeit ist nicht gesichert, weil 20 Minuten mit dem Auto im ländlichen Raum ohne sinnvollen ÖPNV für die 17-Jährige auf der Suche nach einer Gynäkologin genauso irrsinnig ist, wie für die Rentner*in mit grauem Star.
- Die Planungsgrundlagen der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen sind scheinbar nicht die richtigen, wenn zwar in allen Planungsräumen der Versorgungsgrad für Kinderärzt*innen bei über 100 Prozent liegt, aber jede*r weiß, dass der Besuch beim Kinderarzt mit einem richtig kranken Kind nicht unter zwei Stunden Wartezeit abläuft, selbst das Anstehen für eine Schulbefreiung gerne mehr als eine Stunde braucht und jede geplante U-Untersuchung schon Monate vorher vereinbart werden muss.
Verfügbarkeit und Erreichbarkeit sind aber die Kriterien, nach denen die Menschen das System bewerten.
Wie soll dieses Problem nun gelöst werden?
Eine Idee ist, mehr Ärzt*innen auszubilden. Auch weil im kommenden Jahrzehnt viele ältere Ärzt*innen in den Ruhestand gehen und sich damit die Situation weiter zuspitzen wird.
Dieses Vorhaben wird auch aus dem Bund gerade gefordert und ist aus unserer Sicht sinnvoll. Vor allem, wenn es gelingt, durch Anreizsysteme z.B. für Fachgebiete, die nicht so populär sind, oder für Regionen mit Mangel zu werben.
Mehr Medizinstudienplätzen sind dafür notwendig. Diese sind sehr teuer und auch in der Organisation aufwendig. Das jedoch darf kein Argument gegen mehr Studienplätze sein. Wer den Bedarf erkennt, muss sich auch zu den notwendigen Bedingungen bekennen. So zum Beispiel zu einem Campus für die Chemnitzer Medizinstudent*innen, der zwar in Lehre und Praxis finanziert wird, aber seine Student*innen quasi ohne Obdach lässt.
Mit dem Programm „Landärzt*innen für Sachsen“ haben wir einen Versuch gestartet, junge Menschen für eine Tätigkeit im ländlichen Raum zu verpflichten und ihnen dafür den Einstieg ins Studium erleichtert. Ob das Modell erfolgreich ist, müssen wir monitoren und gegebenenfalls gegensteuern.
Der zweite Weg ist es, die Attraktivität des Arbeitsumfeldes für Ärzt*innen insbesondere dort zu steigern, wo sie am meisten gebraucht werden.
Klar ist, dass Ärzt*innen heute nicht mehr nur in einer Praxis als Einzelkämpfer*innen mit einem 24/7 Dienstplan tätig sein wollen, sondern das Arbeiten im Team schätzen und auch in einigen Lebensphasen in Teilzeit tätig sein wollen.
Diese Möglichkeiten können Kommunen, aber auch Krankenhäuser schaffen, indem sie Ärzt*innen in Versorgungszentren (oder MVZ) anstellen. Krankenhäuser können mit dem neuen Krankenhausgesetz die Möglichkeit nutzen, Gesundheitszentren als attraktive Arbeitsorte zu entwickeln. Dort können Mediziner*innen auch ohne das finanzielle Risiko einer Einzelpraxis und die betriebswirtschaftliche Aufgaben ihrer ärztlichen Tätigkeit nachgehen und damit die Patient*innenversorgung sicherstellen.
Ein weiterer Weg ist es, die gemeinsame Versorgung der Patient*innen zu stärken.
Bundespolitisch wird die Ampelregierung 2023 die Reform der Notfallversorgung auf den Weg bringen. Kassenärzte und Krankenhäuser sollen dabei viel enger und an „einem Tresen“ zusammenarbeiten und entscheiden, wo welcher Patient bzw. welche Patientin versorgt wird.
Diese Reform war zu Zeiten von Minister Spahn liegen geblieben. Jetzt drängt es, Angebote zu sichern, aber auch neue niederschwellige Versorgungsformen zu etablieren. Die Idee des Gesundheitskiosk wird dabei eher für urbane Räume ihre Entfaltung erfahren. Eine pflegerische Akutversorgung, die an den guten Erfahrungen der Gemeindeschwester oder des Gemeindepflegers anknüpft, ist gerade in ländlichen Räumen gut vorstellbar.
Wichtig ist, dass die bundespolitischen Möglichkeiten jetzt nicht wieder liegen bleiben, sondern wir schnell und mit geklärter Finanzierung wissen, was der Handlungsspielraum für Sachsen ist.
Außerdem brauchen wir mehr gut ausgebildete, nicht-ärztliche Gesundheitsfachkräfte in Notdienstzentralen und Praxen. Diese müssen auch dringend mehr Kompetenzen erhalten, um die Ärztinnen und Ärzte entlasten zu können. Hier müssen wir noch einige Wände einreißen, und dabei geht es nicht nur um bürokratische Schranken, sondern auch darum, das Bewusstsein für den Wert und die Kompetenzen der medizinischen Mitarbeiter*innen im Berufsstand der Ärzt*innen zu erhöhen.
Das geplante Heilberufegesetz wird da helfen. Auch eine Stärkung der Allgemeinmedizin in allen Phasen des Studiums und eine Verminderung der Bürokratie im Gesundheitswesen sind wichtige Aufgaben, die in der Ampelregierung 2023 angepackt werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
zum Schluss möchte ich sie gerne noch fragen, ob sie wirklich glauben, dass sie sich als Studierende in Berlin, Heidelberg oder Chemnitz von einem Beitrag im Ärzteblatt Sachsen aus dem Dezember angezogen fühlen, der die Krise des Klimawandels zum Klimaterrorismus verkürzt oder die Debatte um Information und Behandlung von Transpersonen als politisches Verbrechen dargestellt?
Auch wenn es sich um eine persönliche Meinung im Editorial handelt, sollte sich die Kassenärztliche Vereinigung fragen, ob der Versorgungsauftrag mit derartigen Äußerungen wirklich gestärkt wird oder ob es abschreckt, wenn man sich derart gehen lässt.
Meine persönliche Meinung ist klar. Ich stelle mir jedoch die Frage, ob auch hier im Haus ein Bewusstsein dafür da ist, welches Bild wir jungen Menschen vermitteln, was hier in Sachsen los ist.
Wir müssen uns dann nicht wirklich wundern, dass wir kaum jemanden für unser schönes Bundesland begeistern können.
Oder um es noch einfacher zu sagen: „Wer will, dass wir hier Wissenschaftler*innen haben, muss akzeptieren, dass es Wissenschaft gibt und auch als lebenserfahrener Mensch anerkennen, dass sich die Welt weiter entwickelt“.
Junge Mediziner*innen, auch die mit Migrationshintergrund, kommen nur aufs Land, wenn sie moderne und aufgeklärte Menschen sein dürfen und ein Umfeld erleben, was fortschrittlich und weltoffen ist.
Vielleicht gelingt es ja Herr Heckemann, als Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung nochmal zu verdeutlichen, dass es sein Job wäre, die medizinische Versorgung sicherzustellen. Er muss wirklich nicht alles gut finden, was in der progressiven Welt passiert. Hilfreiche wäre aber, wenn er uns den Gefallen tun und sein persönliches, fortschrittsfeindliches und intolerantes Weltbild nicht im Ärzteblatt abzudrucken würde – und uns nicht noch den letzten Mut nimmt, Fachkräfte zu finden, die sich gerne auch im ländlichen Sachsen um uns kümmern.
Vielen Dank!